Siegener Schildkröten-Skandal: 60.000 Tiere wie Kartoffeln ausgeschüttet.
In der Krönchenstadt ereignet sich im Mai 1959 einer der größten Tierquäler-Skandale im Nachkriegsdeutschland. Gier und Raffsucht treibt den Tierhändler an. Und dann ist der auch noch über alle Berge.
Siegen. In Siegen ereignet sich im Sommer 1959 ein Fall von Tierquälerei, wie man ihn im Nachkriegsdeutschland noch nicht gesehen hat. Was als lukrative Verkaufsaktion gedacht war, entgleitet dem Siegener „Zoohändler“ Theil von Anfang an.
So viele Griechische Landschildkröten krabbeln auf dem Gelände an der Oberen Hengsbach herum, dass sich das Aneinanderreiben ihrer Panzer anhört wie ein Rauschen. So berichten es Zeugen später vor Gericht. Im Mai sind vier Waggons mit 60.000 Schildkröten – genau sind es 59.377 Exemplare - aus Jugoslawien kommend am Siegener Bahnhof eingetroffen.
Theil will den ganz großen geschäftlichen Coup landen und einen großen Teil der Reptilien an Zwischenhändler verkaufen, den Rest vor Ort verhökern. Vor Gericht kommt später raus: Der Mann ist getrieben von ungezügelter Geldgier. Er will sich in Deutschland eine Monopolstellung sichern. Für 1960 stehen bereits 200.000 Tiere auf seiner Bestellliste.
Zoogeschäft unter dem Namen seiner Frau
Er betreibt unter dem Namen seiner Frau ein Zoogeschäft an der Hindenburgstraße und bringt die Tiere unter haarsträubenden Bedingungen in einem Bunker am Sieghütter Hauptweg, in einer Baracke an der Hindenburgstraße sowie auf einem umzäunten Gelände in der Hengsbach unter.
Besonders die 400 Quadratmeter große, mit Brettern und Maschendraht umzäunte „Freilichtunterkunft“ in der Oberen Hengsbach zieht die Bürger an. In ihrem „Biwak“ krabbeln die Tiere in großen Haufen übereinander.
Vor allem für die Jugend wird das Gehege zu einem Ausflugsziel. Jedes Mädchen und jeder Junge, der den Eltern ein paar Mark abbetteln konnte, geht dorthin, um sich eins der „Haustiere“ zu kaufen. Von Wilnsdorf bis Eiserfeld krabbeln in jenen Tagen mehr Schildkröten in den Gärten als in 100 Jahren zuvor.
Doch Theil wächst alles über den Kopf. Schon in der ersten Nacht reißen Unbekannte die Umzäunung ein, sodass geschätzt etwa 2000 Schildkröten „ausbrechen“. Mithilfe von Jungen und Mädchen aus den Nachbarorten kann ein Teil wieder eingefangen werden. Viele werden auch gestohlen. Theil setzt daraufhin einen „Oberbefehlshaber“ ein, der im Campingzelt am Gehege übernachtet.
Der Zoohändler lässt sich allein vom Geschäftsinteresse leiten. Wie es den Tieren geht, ist für ihn zweitrangig. Hauptsache, sie überleben bis zum Verkauf. Zwei Kriegsinvaliden sammeln täglich Säcke voll Löwenzahn und holen aus den Haushalten und Küchenbetrieben Abfälle, um die Tiere zu ernähren. In sechs bis acht Wochen will er die letzte Schildkröte abgesetzt haben.
Der Zoohändler lässt sich allein vom Geschäftsinteresse leiten. Wie es den Tieren geht, ist für ihn zweitrangig. Hauptsache, sie überleben bis zum Verkauf. Zwei Kriegsinvaliden sammeln täglich Säcke voll Löwenzahn und holen aus den Haushalten und Küchenbetrieben Abfälle, um die Tiere zu ernähren. In sechs bis acht Wochen will er die letzte Schildkröte abgesetzt haben.
Die armen Tiere sind dann wie Kartoffeln oder Kohle ausgeschüttet worden.
Eine Zeugin vor Gericht
Es dauert nicht lange und am Gehege gibt es Wortgefechte mit Tierschützern. Zweimal beleidigt der Händler den von Amt bestellten Tierschutzinspektor, der die Hände über dem Kopf zusammenschlägt, als er die unsachgemäße Tierhaltung in Augenschein nimmt.
Theil wird wegen Tierquälerei angezeigt und der Fall kommt schon im Oktober des Jahres 1959 vor das Siegener Schöffengericht. Dort bestreitet der bereits vorbestrafte 38-jährige Tierhändler jede Schuld.
Er behauptet, zunächst nur eine Sendung bestellt zu haben, sei dann gegen seinen Willen von den Lieferanten in Jugoslawien mit drei nicht angeforderten Sendungen von Schildkröten „überschüttet“ worden. Theil muss vor Gericht zugeben, dass mindestens 10.000 Tiere verendeten. Auch dafür hat er eine Erklärung parat: schlechte Tierauslese im Exportland.
Tiere wie Kohle aus Säcken geschüttet
Doch nach Zeugenaussagen ging es schon bei der Ausladung der Schildkröten im Bunker ziemlich hart zu. Man habe die Tiere zum Teil in Säcken ins Gehege transportiert. „Die armen Tiere sind dann wie Kartoffeln oder Kohle ausgeschüttet worden“, schildert eine Zeugin. Eine weitere Zeugin berichtet, dass die Angestellten der Tierhandlung nach dem Eintreffen der Sendung Schildkröten an Kinder verteilt hätten, die mit ihnen „wie mit Bällen gespielt“ hätten.
Das Gericht hört auch einen Sachverständigen, einen Zoologen vom Frankfurter Zoo. Die Tiere seien miserabel untergebracht und schlecht ernährt worden, befindet der. Schildkröten seien hart im Nehmen, aber eben auch Wirbeltiere, die Schmerzen empfinden. Dass 10.000 gestorben seien, zeige ihm, dass der Mann keine Ahnung von Tierhaltung und Tierwohl habe.
Das sieht auch das Gericht so. Theil ist kein Unbekannter. Richter und Schöffen verurteilen den vorbestraften Mann wegen schwerer Tierquälerei zu einer Gesamtstrafe von dreieinhalb Monaten Gefängnis ohne Bewährung. Er legt Berufung ein, bleibt der für den 13. Mai 1960 anberaumten Verhandlung allerdings fern. Das Gericht wundert sich. Wo bleibt der Angeklagte? Es stellt sich heraus, dass Theil mit seiner Familie - von der Justiz unbemerkt - nach Australien ausgewandert ist.
Wie ihm das möglich gewesen ist, da schon bei der Ausstellung eines Passes die Polizei und andere Behörden gefragt werden mussten, ist dem Gericht unerklärlich. Eine schwere behördliche Panne liegt offenbar vor. Das zuständige Amt hat einem erheblich vorbestraften Mann ein Visum ausgestellt. „Es ist mir unbegreiflich, wie so etwas passieren konnte“, sagt der Richter abschließend.
Quelle: Siegener Zeitung 12.05.2025